Wer strampelt, verzichtet nicht
Ein Verzicht bedeutet nicht umsteigen auf etwas anderes, das etwa gleichwertig ist. Das ist nicht wirklich ein Verzicht, bei dem die fleischige Fleischwurst durch eine vegane Wurst ersetzt wird. Sie muss dann natürlich genauso schmecken wie Fleisch. Dolle Sache. Es geht bei Verzicht auch nicht um Mangel. Das bedeutet, dass auf etwas verzichtet werden muss, weil es nicht vorhanden ist oder ich es mir nicht leisten kann. Dann muss auch verzichtet werden, aber eben aus ganz anderen, aus erzwungenen Gründen. Es geht um die Freiwilligkeit, so wie es beispielsweise Thich Nhat Hanh in seiner fünften Achtsamkeitsübung empfiehlt. Durch den unachtsamen Umgang mit Konsumgütern entstehe Leiden. Außerdem sei es wichtig „Gifte“ zu vermeiden, wie beispielsweise bestimmte Fernsehprogramme, Zeitschriften, Bücher, Filme und Gespräche. Thich Nhat Hanh: „Ich weiß, dass eine bewusste Lebensweise entscheidend ist für meine eigene Veränderung und für die Veränderung der Gesellschaft.“ Bis die Gesellschaft sich verändert hat und bewusster lebt, dauert es sicherlich noch lange. Dennoch sollte vielleicht der erste Schritt getan werden und der beginnt bei einem Selbst.
Früh aufzustehen, ist auch ein Verzicht auf einen langen Schlaf. Aber der frühe Morgen entschädigt für viele unruhige Träume in den Morgenstunden. Beim Gang zum Auto könnte der Fußgänger darüber kurz nachdenken, ob er für zwei Kilometer zum Autofahrer werden will. Die Vorteile des Gehens sind bekannt. Dieser Verzicht ist noch keine Askese, die schon der Philosoph Friedrich Nietzsche in seiner Genealogie der Moral beschrieb. Er hielt Asketen für zutiefst egoistisch und nur auf ihr eigenes Wohl bedacht und daher für unmoralisch. Auch ein Standpunkt. Nun ist natürlich der Verzicht auf das Auto nicht unbedingt asketisch und gehört in London, so der Einwohner zum Radler geworden ist, zu einem Lebensstil. Und zwar sehr oft in der Upperclass. Der Verzicht auf das Auto ist in London tatsächlich ein Gewinn: keine Staus in engen Straßen, gesundes Strampeln und pünktlich zur Arbeit.
Wie heißt es so schön: „small is beautiful“ zum Wohle der Natur. Nein – es geht jetzt nicht um die Naturkatastrophen als Rache der Natur, sondern um Egoismus und den Ausstieg aus dem kapitalistischen Hamsterrad. Die Phrase „weniger ist mehr“ ist zwar schon ziemlich abgedroschen, aber sie bleibt wahr. Der Verzicht wird schließlich zum Gewinn. Weniger sich nach dem zu richten, was „man“ machen und haben muss, führt zur Freiheit, zur Ruhe und Gelassenheit im Leben. Alles etwas langsamer angehen lassen. Im japanischen Zen gibt es das Kinhin, das selbst Meditation ist, aber zwischen den einzelnen Sitzmeditationen geübt wird. Kinhin ist ein äußerst langsames Gehen, bei dem die Füße bedacht aufgesetzt werden, um den Boden wieder zu spüren, und die Schritte mit den Atemzügen zu synchronisieren. Es ist die Aufmerksamkeit wieder in der Gegenwart zu sein. Das alleine reicht.