Der Sarg ist geschlossen, die Gedanken bleiben
Langsam wurde die Leiche in den Sarg gelegt. Ein Sarg, der sehr hoch war. Die Mönche hatten Mühe den toten Körper sanft auf den Boden zu legen. Anschließend wurden mehrere Lagen Stoffbänder über den Körper von Thich Nhat Hanh gelegt, darüber Pulver mit duftenden Ölen geschüttet und anschließend der Sarg mit mehreren Schichten Sandelholz aufgefüllt. Zum Abschluss der Zeremonie wurde der Sargdeckel aufgesetzt und verleimt. Tausende Mönche und Nonnen auf der ganzen Welt verfolgten diese Zeremonie im Heimattempel des vietnamesischen Zen-Meisters im Từ Hiếu Tempel in der vietnamesischen Stadt Huế live über das Internet. Từ Hiếu war der Heimattempel von Thay, als er noch nicht der Lehrer Thay war, sondern ein kleiner Mönch von sechzehn Jahren. Am 22. Januar 2022 verstarb Thich Nhat Hanh.
Als ich aus Japan zurückkam, wollte ich mithelfen, einen Ort zu schaffen, an dem Zen praktiziert werden kann. Ich nahm damals Kontakt zu zwei Damen auf, die in der Eifel eine Klause bauen wollten. Ihnen war Thich Nhat Hanh wichtig und als ich einwand, dass es nicht um Personen beim Zen geht, bekam ich zur Antwort: „Sie können Thich Nhat Hanh nicht das Wasser reichen.“ Da hatten sie durchaus recht, aber das hatte ich auch nicht vor. Ich dachte in dem Augenblick an Siddharta, der in seiner Sterbestunde sagte, dass man der Lehre folgen solle und nicht einer Person. So wurde es jedenfalls überliefert.
Thich Nhat Hanh in Mussooree in Indien. Er pflanzte einen Bodhibaum. Auch nach seinem Tod wird dieser Baum an Thay erinnern, als ein lebendiges Denk-Mal.
Fotos: © Plum Village Community of Engaged Buddhism
Viel später besuchte ich das Europäische Institut für angewandten Buddhismus in Waldbröl in der Nähe von Köln. Eine Gründung von Thich Nhat Hanh, der das Gebäude 2008 für gut befand. Ein Gebäude mit einer martialisch wirkenden Front. Es diente einmal den Nationalsozialisten als KdF-Hotel – „KdF“, Kraft durch Freude, war einmal der größte Reiseveranstalter der Nationalsozialisten. Der Gedanke war, bei der Arbeiterschaft die Produktivität zu steigern, ohne den Lohn zu erhöhen.
Wusste Zen-Meister Thich Nhat Hanh um die Historie des Gebäudes? Vielleicht hat sich der Pazifist sogar bewusst dafür entschieden, um dem Ort eine andere Widmung zu geben, die in 100 Jahren das deutsche Erbe überlagert. Es ist ein wenig so, als würde man versuchen, immer wieder an derselben Stelle in einen Fluss zu steigen. Man kann aber niemals zweimal in denselben Fluss steigen. Er ist ständig in Bewegung. So wird man auch nicht zweimal das gleiche Gebäude in Waldbröl betreten können.
Zurück zum Tod von Thich Nhat Hanh. Er weiß jetzt um den Wahrheitsgehalt seiner Vorträge. Er sagte einmal in einer seiner Erklärungen, dass es weder die Ewigkeit gibt, noch den Nihilismus. Dann machte er eine kurze Pause. Er fände sich später vielleicht in jedem von uns wieder.
Thich Nhat Hanh hat uns jedenfalls gezeigt, dass ein sanftes Miteinander in dieser Welt möglich ist. Und es wäre zu wünschen, dass sich seine Ideen immer weiter ausbreiten.