Ozean des Seins
Zen wurde einmal mit einem Ozean verglichen. Der Zen-Praktizierende sitzt zunächst am Strand und versucht zu einer Erkenntnis zu kommen, was der Ozean denn nun ist. Er steht auf und geht zum Wasser, um den Ozean zu spüren. Aber je mehr er weiter hineingeht (ich stelle mir dabei natürlich vor, dass er einen Taucheranzug trägt), je weniger weiß er. Der Ozean wird immer tiefer und unendlich weit. Macht Zen dann noch Sinn? Was soll das, sich hinzusetzen und die Zeit des Seins verstreichen zu lassen? Es macht keinen Sinn, so wie das Leben keinen Sinn macht. Wir können das Leben nicht nach einem Ziel ausrichten, weil wir am Ende sterben. Das wissen wir. Warum sich also abstrampeln, um eine Firma zu gründen, Erfolg im Beruf zu haben und sportliche Medaillen zu bekommen. Sinnlos. In hundert Jahren wird sich daran keiner mehr erinnern. Es ist absurd.
Der französische Schriftsteller und Philosoph Albert Camus schrieb: „Das Absurde hat nur insofern einen Sinn, als man sich nicht mit ihm abfindet.“ Dies ist in sich natürlich absurd. Sinnlos. Genauso wie die Schwerstarbeit des Griechen Sisyphos, der Sohn des Königs von Korinth, der einen schweren Stein einen Berg hinauf rollen muss. (Homer sagt uns übrigens nicht, warum er das machen muss.) Kaum an der Spitze angelangt, rollt der Stein zurück und Sisyphos fängt von vorne an. Macht das Sinn? Diese absurde Arbeit wurde zu einem geflügelten Wort für sinnlose Arbeit, die kein Ende findet: Sisyphosarbeit.
Sich im Zen auf ein Kissen zu setzen und Nichtstun praktizieren, ist somit absurd. Es könnte gut sein, dass es für die direkte Umgebung eines Menschen gut ist, nichts zu tun, statt wild und unüberlegt zu handeln. Es könnte zu Handlungen kommen, die er nachher bereut. Aber auch das Nichthandeln kann dazu führen, dass der Praktizierende es später bereut. Es gibt keine Logik dahinter. Es ist aber eine Sisyphosarbeit mit sich selbst. Wenn der Zen-Praktizierende sitzt, setzt er sich mit sich selbst und seinen Gedanken auseinander. Er versucht seinen Gedanken nicht zu folgen, bis sie sich selbst auflösen. Gelingt das? Wir haben täglich im Durchschnitt 70.000 Gedanken, die wir den Berg hinaufrollen, in der Hoffnung, dass sie aufhören. Sie kommen immer wieder zurück. Nur nach dem Tod hören sie auf, aber dann machen sie keinen Sinn mehr.
Daher bedeutet Zen zu praktizieren, auch sterben zu lernen.