Sangha friends around you …
Ja oder Nein, Null oder Eins, daraus besteht mittlerweile ein Großteil unserer Welt. Sie ist digital geworden und die Welt durchdringt ein Netz von Verbindungen von Server zu Server, an denen wir wiederum mit unseren Endgeräten hängen. Wer aber beispielsweise das Zen-Center Tassajara in Kalifornienen besucht, hat keine Chance mehr mit seinem Endgerät, sei es nun Tablet oder Smartphone, sich in dieses Netz einzuklinken. Möglicherweise wird der eine oder andere dabei nervös. Was ist mit meinen E-Mails und wie soll ich an Informationen kommen, die ich absolut dringend brauche? Sehr dringend! Überhaupt … quasi lebenswichtig. Keine Chance. Die Besucher in Tassajara sind nur noch mit sich selbst und der Wildnis um sie herum konfrontiert und das ist für einen Menschen schon seit Urzeiten existenziell.
Es ist schon etwas her, seit der evangelische Kirchentag in Dresden (2011) stattfand. Im Vorfeld gab es bei den Organisatoren eine große Diskussion, ob ein Segen digital gespendet werden könne. Auf einer der elf Bühnen des Kirchentages sollte nämlich ein großer Bildschirm aufgebaut werden und ein Pfarrer als Avatar auftreten. Die Kirche wollte sich auf der Höhe der Zeit zeigen. Dieser Avatar, so war nun geplant, sollte den Kirchentagsbesuchern einen Segen spenden. Die Organisatoren dieser speziellen Bühne wurden sich nicht so recht darüber einig, ob der Avatar dazu in der Lage ist. Ein Pfarrer, der ebenfalls zu den Organisatoren gehörte, war fest davon überzeugt, dass das natürlich gehe. Offenbar ist das auch bei der Katholischen Kirche kein Problem. Der päpstliche Segen „Urbi et Orbi“ findet mittlerweile nicht mehr nur pur, sondern im Live-Stream statt.
Wie wäre wäre das beim historischen Siddharta gewesen? Nachdem er unter seinem Baum zu einer Erkenntnis gekommen war, kamen andere Asketen und sagten: „Unterrichte uns bitte.“ Siddharta, so die Überlieferung, hielt eine Blume hoch und einer der Anwesenden lächelte. Siddharta sah ihn und sagte: „Du hast die Lehre verstanden.“ Jetzt stellen wir uns die Situation im Live-Stream vor. Wie hätte Siddharta denjenigen sehen können, der lächelte? Selbst bei Zoom, bei all den Kacheln mit Menschen auf dem Bildschirm … Wo ist denn der, der lächelte? Wohin ist denn da die Magie des Augenblicks? Die Stille zuvor, in der das Rauschen der Blätter, das Zwitschern der Vögel und Zirpen der Grillen zu hören war? Bei Zoom oder Webex gibt es kein gemeinsames Eintauchen eines jeden Einzelnen in die Natur und der starken Empfindung, nun ein Teil des gemeinsamen Augenblicks zu sein.
In einer geführten Meditation vom buddhistischen Mönch Thich Nhat Hanh heißt es gegen Ende: „Feel the energy of sangha friends around you …“ Ja – das geht wunderbar, wenn ich in einer Gruppe sitze, aber das funktioniert wohl kaum, wenn ich alleine auf einem Kissen sitze und einen Bildschirm vor mir habe, in dem andere Teilnehmer zu sehen sind, die ebenfalls meditieren. Ich kann es schön finden, dass da auch andere Menschen zu der Zeit das Gleiche tun wie ich und das führt zu einem guten Gefühl. Aber die Energie kann ich mir eher nur einbilden.
Bei einem speziellen UN-Training für Ärzte, Hilfskräfte und Journalisten, die in ein Kriegsgebiet einreisen wollen, lässt die UN sie genau diese Energie spüren. Unter anderem wird eine Entführung durch Terroristen simuliert. Die Entführten bekommen die Augen verbunden oder auch einen Sack über den Kopf. Sie sind gefesselt, orientierungslos. Im Laufe der Stunden wird aus der Simulation eine echte Empfindung der Angst. Sie fühlen sich ausgeliefert. Aber genau in dieser Situation fokussieren die Entführten ihre Aufmerksamkeit auf Geräusche in der Nähe. Sie werden zudem so sensibilisiert, dass sie andere Entführte spüren können. Sie fühlen die Energie der Gruppe. Das lässt sie in der Situation überleben. Digital wäre das wohl kaum möglich. Das ist das, was der Meditierende in einer Gruppe empfindet, die Energie oder wie immer es genannt wird, zu spüren.
Wir Menschen sind dazu jederzeit noch fähig, auch ohne digitales Endgerät.